Resolution der Evangelisch-methodistischen Kirche (Norddeutsche, Ostdeutsche und Süddeutsche Konferenz) April und Mai 2014
Das Flüchtlingsdrama vor Lampedusa, das sich im Herbst 2013 zuspitzte, hat uns ins Bewusstsein gerufen, welche Tragödien an Europas Südgrenze längst zum traurigen Alltag geworden sind. In den letzten Jahren sind tausende Menschen, die sich in der Hoffnung auf Schutz zur gefährlichen Reise über das Mittelmeer nach Europa aufgemacht haben, auf ihrer Flucht vor Verfolgung, Armut, Hunger, Dürrekatastrophen und Krieg ertranken. Tod, Leid und Not der Flüchtlinge fordern ein Umdenken in der Asyl- und Flüchtlingspolitik wie auch in der Migrationspolitik der Europäischen Union. Es ist Zeit, eine humane Einwanderungspolitik zu gestalten – eine Politik, die sich orientiert an den Menschenrechten der Frauen, Männer und Kinder, die ihre Herkunftsländer verlassen, um in einem anderen Staat eine Existenz aufzubauen. Ursachen für Flucht und erzwungene Migration müssen auch in den Herkunftsländern bekämpft werden.
Daher treten wir für eine Neuausrichtung der europäischen und nationalstaatlichen Flüchtlingspolitik ein. Die verstärkten Anstrengungen zur Grenzsicherung treiben Flüchtlinge in die Arme von Schleusern und auf noch gefährlichere Wege. Erst die Abschottung der europäischen Grenzen ermöglicht das Geschäft krimineller Fluchthelfer.
Vor den Grenzen der EU muss die Priorität auf der Seenotrettung liegen. Lebensrettung darf nicht kriminalisiert werden. Die Wertegemeinschaft EU muss sicherstellen, dass alle EU-Länder die Menschenrechte der ankommenden Flüchtlinge wahren und Humanität walten lassen. Es ist eine unfaire Regelung innerhalb der EU, die Verantwortung für Flüchtlinge auf die EU-Randstaaten abzuschieben.
Diese Staaten müssen stärker unterstützt und durch eine solidarische Verteilung der Flüchtlinge auf alle Län- der der europäischen Gemeinschaft entlastet werden. Der Streit über die Verantwortung innerhalb der Europäischen Union darf nicht auf dem Rücken der Flüchtlinge ausgetragen werden.
Der Schutz von Flüchtlingen ist eine völkerrechtliche Verpflichtung. Die Gestaltung von Zuwanderung nach Europa ist eine politische Aufgabe. Wir bitten Sie nachdrücklich, auf der Tagung des europäischen Rats im Juni 2014 und in den Beratungen des europäischen Parlaments eine grundlegende Veränderung der EU-Asylpolitik in die Wege zu leiten. Inhaltlich schließen wir uns den ergänzten Forderungen der evangelischen Konferenz für Diakonie und Entwicklung (beschlussfassendes Gremium des Evangelischen Werks für Diakonie und Entwicklung in Deutschland) an, wie sie im Folgenden aufgeführt sind:
Erwartungen an die Bundesregierung, die politischen Parteien im Bundestag und die deutschen Abgeordneten im europäischen Parlament:
1. Bekämpfung der Fluchtursachen und Überwindung der Armut
- Mehr Engagement für die Armutsbekämpfung in den ärmsten Ländern, die mehrheitlich auf dem afrikani- schen Kontinent liegen.
- Faire Gestaltung der Handelsbeziehungen und der Agrar- und Fischereipolitik unter Berücksichtigung des Rechts auf Nahrung.
- Schluss mit Agrardumping: Europa darf seine Produktionsüberschüsse nicht mehr zu Spottpreisen nach Afrika exportieren.
- Entwicklungsförderliche Wirtschaftsinvestitionen, die menschenwürdige Arbeitsplätze schaffen.
- Der Landraub ist durch geeignete Maßnahmen zu unterbinden. Die Enteignung von fruchtbaren Böden durch Investoren mit Hilfe davon profitierender Regierungen führt zur Verelendung und Vertreibung von einheimischer Bevölkerung.
- Systematische und nachdrückliche Unterstützung von Akteuren und Maßnahmen der Konfliktprävention und der friedlichen Konfliktbearbeitung wie auch verstärkte Förderung in Post-Konflikt-Situationen.
- Stopp von Rüstungsexporten in Krisengebiete und an Regierungen, die Menschenrechte systematisch verletzen.
2. Schutz der Flüchtlinge
- Gewährleistung eines effektiven Systems der Seenotrettung im Mittelmeer mit klaren Verantwortlichkeiten.
- Ausbau der Möglichkeit zur legalen Einreise für Schutzsuchende.
- Ermöglichung des Zugangs zu einem fairen Asylverfahren und menschenwürdigen Aufnahmebedingungen.
- Änderung der Dublin-II Verordnung, damit eine solidarische Aufteilung der Flüchtlinge in Europa möglich ist, die auch dem Wunsch der Flüchtlinge nach einem bestimmten Aufnahmeland Rechnung trägt.
- Gestaltung der Aufnahmebedingungen der EU in einer Weise, dass sie gesellschaftliche Teilhabe von Anfang an ermöglichen. In Deutschland bedeutet dies insbesondere die Abschaffung des Arbeitsverbotes im ersten Jahr, des darauf folgenden nachrangigen Arbeitsmarktzugangs, der Residenzpflicht und der Pflicht, in Gemeinschaftsunterkünften leben zu müssen.
3. Verbesserung der legalen Zuwanderungsmöglichkeiten nach Deutschland
- Menschen, die keinen Schutzbedarf im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention haben, sollten ebenfalls Zugang zu einem Verfahren erhalten, in dem geprüft wird, ob die Einreise nach Europa eröffnet werden kann.
- Das Internationale Übereinkommen zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen schafft menschenrechtlichen Schutz bei Ausreise, Aufenthalt im Zielland und gegebenenfalls bei Rückkehr. Die meisten Industrieländer haben die Konvention bislang nicht ratifiziert. Der neugewählte Bundestag sollte dies dringend für Deutschland tun.
- Die bestehenden Einwanderungsregelungen müssen so geändert und erleichtert werden, dass Arbeitsuchende mit ihren Fähigkeiten eine faire und realistische Chance erhalten.
- Die Beschäftigungsverordnung sollte verändert werden, um auch Minderqualifizierten eine Chance zur Beschäftigung in Deutschland zu geben.
- Die Bundesländer sollten, soweit sie es noch nicht getan haben, die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse gesetzlich regeln.
Als Mitglieder der Norddeutschen Jährlichen Konferenz der Evangelisch-methodistischen Kirche ist uns bewusst, dass die Aufnahme von Flüchtlingen eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe darstellt.
Dabei leitet uns als Christinnen und Christen die biblische Weisung:
»Der Fremde soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer; und du sollst ihn lieben wie dich selbst (3. Mose 19,34)«.
In der kirchlichen Arbeit wollen wir unser Möglichstes dazu beitragen:
»Etliche EmK-Gemeinden pflegen Kontakte zu Flüchtlingen, die in Unterkünften in ihrer Nachbarschaft leben. Andere vermitteln Asylbewerbern Rechtsbeistand oder sie fördern Kinder aus Migrantenfamilien. Darüber hinaus versuchen wir, unsere internationalen Verbindungen zu nutzen, um die Lebensbedingungen der Menschen auf dem so reichen und gleichzeitig so geschundenen afrikanischen Kontinent zu verbessern.« (Bischöfin R. Wenner, Pressemitteilung vom 31.10.2013)
Zugleich erwarten wir von allen Parteien und insbesondere von der Bundesregierung, dass sie ein Klima für eine positive Haltung gegenüber Flüchtlingen und Migranten schaffen. Die viel beschworene Wertegemeinschaft der EU sollte sich auch in einer humanen Flüchtlings- und Migrationspolitik ausdrücken.
Es darf keine Menschenrechte erster und zweiter Klasse geben. Nord und Süd, Ost und West brauchen einander. Der Reichtum des Nordens ist ohne die Armut des Südens nicht denkbar. Darum haben wir als Europäer eine Verpflichtung.
Oldenburg, im April 2014; Schwarzenberg und Stuttgart im Mai 2014
Die Mitglieder der Norddeutschen, Ostdeutschen und Süddeutschen Jährlichen Konferenz der Evangelisch- methodistischen Kirche