Extremismusklausel schadet mehr, als sie nützt
Seit diesem Jahr sollen Initiativen, die sich für die Bewahrung der demokratischen Kultur und gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und neue Nationalsozialisten engagieren und dabei staatlich gefördert werden, eine Erklärung unterzeichnen. Darin sollen sie bestätigen, dass sie sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennen und stets eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit gewährleisten. Zudem sollen sie „auf eigene Verantwortung“ dafür Sorge tragen, dass für ihre Partner das gleiche gilt, damit „keinesfalls der Anschein erweckt“ würde, dass einer Unterstützung „extremistischer Strukturen“ Vorschub geleistet wird.
Die sächsische Arbeitsgemeinschaft „Kirche für Demokratie – gegen Rechtsextremismus“ wendet sich nachdrücklich gegen diese neuerdings von Initiativen geforderte Erklärung.
Dafür sind vor allem folgende Gründe maßgeblich:
1. Die Erklärung setzt ausgerechnet diejenigen, die sich mit oft großem persönlichen Einsatz für den Erhalt des demokratischen Zusammenlebens in Deutschland engagieren, unter einen Generalverdacht. Ihnen wird damit unterstellt, sie würden heimlich doch gegen die Demokratie arbeiten, indem sie „extremistische Strukturen“ unterstützen. Solche pauschalen Verdächtigungen sind nicht nur unangemessen, sondern auch kontraproduktiv, denn sie behindern das zivilgesellschaftliche Engagement, statt es zu fördern.
In analoger Weise könnte z.B. auch das Deutsche Rote Kreuz von allen potenziellen Blutspendern eine Erklärung verlangen, bevor sie zur Blutspende zugelassen werden. Darin müssten diese bestätigen, dass sie niemals Risikosportarten betreiben und gegen keine Verkehrsregeln verstoßen werden sowie dies auch in ihrem Freundeskreis sicherstellen, um nicht durch Unfälle den Verbrauch an kostbaren Blutkonserven weiter zu erhöhen. Das würde in etwa derselben Logik folgen, denn es soll ausgeschlossen werden, dass die Spender erst an der Entschädigung verdienen und dann selbst den Verbrauch in die Höhe treiben.
Welche Folge hätte eine solche Erklärung wohl für das Blutspendenaufkommen? Wie motiviert eine solche Erklärung zu freiwilligem Engagement und persönlichen Opfern? Wie würde damit das Anliegen unterstützt, dass Menschen vor einer todbringenden Krankheit gerettet werden?
Wer diejenigen, die sich in bereits selbstloser Weise für das Wohl der Gesellschaft engagieren, in solcher Weise gängelt und ihnen das Gegenteil von dem unterstellt, wofür sie sich offensichtlich engagieren, muss sich nicht wundern, wenn dies Elan und Zivilcourage tötet.
2. Es ist grundsätzlich problematisch, die Gewährung von Zuwendungen an die Erklärung von Gesinnungen zu koppeln, statt konkrete Handlungen zu beurteilen. Überzeugungen sind wandelbar. Wie oft müsste eine solche Erklärung unterzeichnet werden, um Gültigkeit zu behalten?
Dies gilt erst recht, wenn die geforderte Gesinnung nicht klar genug beschrieben ist. Es bleibt in der Erklärung inhaltlich unbestimmt, was eine „den Zielen des Grundgesetzes förderliche“ Tätigkeit im Einzelfall ist. Dies sind Bestandteile öffentlicher gesellschaftlicher Diskurse. Sind Diskussionen über den umstrittenen Asylparagrafen damit ausgeschlossen? Das Wirken im Sinne des Grundgesetzes kann möglicherweise auch Kritik an einzelnen Vorgängen in staatlicher Verwaltung notwendig machen. Wer hat die Deutungshoheit darüber, was im Sinne des Grundgesetzes ist? Es entsteht der Eindruck, dass über das Mittel einer Gesinnungserklärung Einfluss auf politische Debatten genommen werden soll, ohne dies jedoch offen auszusprechen. Wer gewissenhaft ist, wird über die Möglichkeit solcher Konflikte nachdenken und es deshalb mit einer Unterschrift schwer haben. Es ist daher moralisch unredlich, eine solche Erklärung von den Initiativen zu verlangen. Sie werden vor das Dilemma gestellt, entweder zu heucheln um zu überleben, oder ehrlich zu bleiben und unterzugehen. Solches fördert nicht die Heranbildung der Tugenden, die wir uns in der Gesellschaft wünschen.
3. Die Erklärung verlangt von den Zuwendungsempfängern etwas, was sie nicht leisten können. Sie werden in eine Sippenhaftung für ihre Umgebung genommen. Wenn schon sie selbst „ehrenhafte Leute“ sind, so könnte es doch sein, dass sich unter ihren Freunden ein zwielichtiges Individuum befindet – so lautet der in der Erklärung ausgedrückte Verdacht. Nun wird von ihnen verlangt, dieses beleidigende Misstrauen, heimliche Feinde der Demokratie zu sein, in das Verhältnis zu ihren Partnern hinein zu tragen. Dies ist eine schwere Zumutung.
4. Die Erklärung ist zudem von einem Misstrauen getragen, welches sich aus irreführenden und falschen Klassifizierungen speist. Der Begriff des Extremismus suggeriert, dass es sich bei Rechts- und Linksextremismus um zwei Seiten einer „extremistischen“ Medaille handele. Die tiefgreifenden Unterschiede zwischen beiden werden dabei verwischt. Das verleitet zu falschen Zuordnungen in der Art: Wer sich gegen Rechtsextremismus engagiert, könnte wohl ein Linksextremist sein. Übersehen wird dabei, dass Rechtsextremisten sich gegen die Demokratie wenden, der Schwerpunkt linker Aktivisten hingegen die Kritik des Kapitalismus darstellt. In dem Bild „Linksextrem“ werden dann völlig unterschiedliche Elemente zusammengezogen: manche denken dabei an Stalinisten, andere an die RAF, andere an Anarchisten und für wieder andere zählen schon Atomkraftgegner dazu. Um Klarheit zu bekommen, werden die Initiativen angewiesen, sich bei Verfassungsschutzämtern, mittels Literatur, Presse sowie persönlichen Kontakten über ihre Partner zu informieren. Eindeutigkeit – wie sie eine solche Erklärung eigentlich bräuchte – lässt sich daraus aber nicht gewinnen. Sogar der Verfassungsschutz musste mehrfach seine Zuordnungen auf gerichtlichen Einspruch hin korrigieren. Die Entscheidung, was demokratisch (legitim) und undemokratisch (illegitim) ist, kann nicht einem Geheimdienst überlassen werden. Diese Frage muss in demokratischen Meinungsbildungsprozessen, im Konfliktfall vom Bundesverfassungsgericht, entschieden werden. Davon lebt die Demokratie.
Wir setzen uns dafür ein, dass,
– demokratiefördernde Initiativen nicht pauschal als potenziell extremistisch verdächtigt werden,
– eine differenzierte Betrachtung der konkreten Situation erfolgt – ohne unpassende Gleichsetzungen von Rechts- und Linksextremismus, und
– hoheitliche Aufgaben nicht an Bürger delegiert werden und einen gegenseitigen Bespitzelungszwang auslösen.
Demokratie braucht engagierte Bürger und lebendige Initiativen, welche Partizipation und Meinungsfreiheit stärken. Die Bereitschaft zu solchem Engagement ist mühsam gewonnen, aber schnell durch unangemessene Machtspiele und Misstrauensbekundungen zerstört.